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Über das Wesen des Kindes

  • Isabel
  • 27. Jan. 2021
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 5. Aug. 2024


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Natürlich liegt es mir fern ein menschliches Wesen einer genauen Kategorisierung unterzuordnen, liegt doch gerade in der Individualität die Besonderheit unserer Spezies. Nichtsdestotrotz gibt es doch im Allgemeinen ein paar Charakteristiken, die das Kind von uns Erwachsenen unterscheiden. Meine Beobachtungen dahingehend möchte ich hier nicht vorenthalten.

Kinder imitieren und kopieren ihr Umfeld, speziell ihre Eltern, unglaublich schnell und intensiv. Aber die Ursprünglichkeit des Kinderwesens ist ebenfalls sehr kraftvoll und kann immer wieder erkannt werden, sie lässt sich anfangs, Gott sei Dank, kaum unterdrücken.

Je mehr junge Kinder ich sehe, umso mehr offenbart sich mir der Umstand, dass unsere Babys unglaublich viel, wenn nicht alles, was sie für ein glückliches Leben brauchen, von Beginn an mitbringen. Ist ein Mensch von Anfang an geliebt und willkommen, sind Unbeschwertheit, Fröhlichkeit und eine kaum zu bändigende Neugier eine gängige „Nebenwirkung“.


Schauen wir uns aber den heutigen Jugendlichen an, ist da selten viel von dieser Lebenshaltung übrig geblieben und im eigenen Bekanntenkreis kann man die Erwachsenen, die sich als unbeschwert und glücklich bezeichnen, wenn man sie überhaupt findet, an einer Hand abzählen – bei jungen Kindern jedoch, würden viele Hände nicht ausreichen.

Dieser Umstand hat mich nachdenklich gestimmt. Was ist es, das so viel verschluckt von dem, was im Kind schon da ist. Wie kann ich bewahren, was ein Kind mitbringt?

Relativ schnell dämmerte mir, dass es möglicherweise unsere zentrale Aufgabe als Eltern ist, genau hier aufmerksam zu werden und unterstützend zu wirken.

Eine Theorie, dass ein Kind so viel mitbringt und dass sich dies einfach im Laufe der Zeit ablebt und deshalb ein weniger begeisterter Erwachsener dabei rauskommt, schien mir weder plausibel noch glaubhaft. Das Leben muss doch da sein, um sich und seine Fähigkeiten zu expandieren und nicht zu minimieren. Und obwohl einige der rein körperlichen Fertigkeiten, wie motorische Koordinationen (die uns das Gehen, Springen, Schreiben,… ermöglichen) natürlich ausgebildet werden, gibt es doch erwiesenermaßen im nicht rein physischen Bereich Dinge, die sich bei vielen Menschen rückläufig entwickeln – das geht von feinen Wahrnehmungen bis über Lebensenergien wie Freude oder Interesse.

Wo haben wir all das liegen gelassen – gibt es da einen Fehler im System? Oder ist das System selbst der eigentliche Fehler?

Beobachten Sie selbst: Wann im Leben eines Kindes findet Veränderung statt? Was wirkt sich förderlich, was destruktiv auf ein ausgelassenes kindliches Dasein aus? Was wirkt sich gut oder schlecht auf unser eigenes Dasein aus? Was verursacht unseren Stress, was unser Wohlgefühl?


Aus irgendeinem Grund hat mich da eine Art Entdeckerdrang gepackt und ich habe begonnen meine Kinder, aber auch Kinder und Familien rund um mich, zu beobachten. Zusätzlich habe ich mich in Fachliteratur zu diesem Thema vertieft und bin zu der erstaunlichen Erkenntnis gekommen, dass sehr gute Wahrnehmungen zur kindlichen Entwicklung vielerorts bereits vor Jahrzehnten, ja sogar Jahrhunderten, aufgezeichnet wurden.

So habe ich es mir weiters zur Aufgabe gemacht, einige dieser Daten mit meinen Beobachtungen und Erfahrungen in Verbindung zu bringen oder sie entsprechend zu vertiefen, um so ein brauchbares Konzept im Leben und Umgang mit Kindern zu entwickeln. Indem ich vor allem versuche dieser, unserer ursprünglichen Welt, der die Kinder scheinbar noch näher sind als wir Erwachsene, mit Verstehen und Offenheit zu begegnen.


Die erste Entdeckung, die ich so wie jede andere frischgebackene Mutter machen durfte, ist das Verhältnis des kindlichen Wesens zu Zeit. Ein junger Mensch kommt defacto ohne Zeitstrukturen oder dem Wunsch nach zeitlicher Einteilung zur Welt.

Schnell bemerkt die junge Mutter, dass ihr Sprössling jetzt noch gestillt werden will, obwohl sie bereits am Weg zum Kinderarzt sein sollten, dass er noch schläft, wo sie doch schon seit einer Stunde beim sonntäglichen Mittagessen zur Großmutter eingeladen wären und der Termin mit der Spielrunde heute doch nicht einzuhalten ist, weil beide die halbe Nacht wach waren und jetzt endlich Ruhe herrscht.

Die akkurateste Sekretärin muss nun lernen, dass Termine nicht mehr die erste Priorität sind – denn jetzt ist sie Mutter geworden.

Die Kinderseele denkt ohne Zeit und das würde sie auch weiterhin tun, wenn es nicht jedes Mal Stress gäbe, wenn das Kind noch mit 2 Bauklötzchen munter auf den Boden klopft, um diese einzigartige Geräuschkulisse zu erfahren, während Mama schon drängt jetzt endlich die Schuhe anzuziehen, weil man doch schon längst in den Kindergarten müsse.

Vielleicht wird man hören: „Alles schön und gut, aber unser System besteht nunmal aus lauter zeitlichen Begrenzungen, irgendwann müssen sie es ja lernen.“

Dazu seien zwei Dinge angemerkt: Ja, unser System ist sehr von Zeit geprägt, aber wir sind auch nicht zufrieden mit diesem System, also wenn wir etwas ändern oder lockern wollen, dann braucht es auch Bereitschaft etwas zu verändern – eben anders zu machen als bisher – oft von Grund auf, denn dann ist es am wirkungsvollsten.

Nun gehöre ich aber, als Unternehmer-Tochter, nicht zu den totalen Gesellschaftsverweigerern oder Aussteigern (auch wenn der Gedanke daran manchmal reizvoll ist).

Aber ich besitze mittlerweile ein gewisses Quäntchen Mut zur Veränderung und genügend Optimismus (oder Naivität) um an eine bessere Welt zu glauben. Also hab ich mir gedacht, wenn ich zumindest in den Jahren vor Schuleintritt (dann dominieren ohnehin die Regeln des Systems) meine erwachsene Lebensweise eher an die des Kindes anpasse als umgekehrt, schütze ich meine Kinder vor unnötigen Stresshormonausschüttungen (die beispielsweise bei jungen Kita-Kindern, bereits wissenschaftlich nachgewissen werden können) und schaffe gleichzeitig ein sehr entspanntes Umfeld für die ganze Familie. Also eigentlich eine Win-win-Situation.

Tage, die ohne Terminkalender auskommen und Nachmittage, an denen man von der Picknickdecke aus beobachtet wie sein Kind versucht Ameisen zu erwischen, sind ein wesentlicher Beitrag zur kindlichen Entfaltung. Ist man vielleicht sogar im Besitz eines Gartens, kommt man in die privilegierte Situation, dass man nebenbei auch gut kleine Arbeiten erledigen kann.

Wenn ein Baby auf die Welt kommt, haben wir also einen Erdenbürger dazu gewonnen und in den meisten Fällen sieht dieser kleine Mensch unbedarft und voller Vertrauen seiner Zukunft entgegen. Es gibt noch keine Sorgen und keine Gedanken an Morgen – das junge Kind lebt im Jetzt.

Dieser starke Gegenwartsbezug manifestiert sich übrigens oft bis ins Vorschulalter und darüber hinaus. Wer gut zuhört, bemerkt, dass die meisten Kinder sehr lange Schwierigkeiten damit haben, gestern und morgen zuzuordnen und erst recht, nächste und letzte Woche richtig zu verwenden.

Ich habe bei meinen Kindern aufgehört diese Zeitbezeichnungen zu korrigieren und mich stattdessen darüber gefreut, dass sie etwas können, für das wir Erwachsene Zeit und Geld aufwenden, um in Pilates, Yoga oder sonst wo, wieder zu lernen im Moment zu leben und die Gegenwart, um uns wahrzunehmen. Ebenso habe ich damit begonnen, Kindern bis zum Alter von drei bis vier Jahren nur Bücher vorzulesen, die im Jetzt erzählen - (oder sie dementsprechend umzudichten – darin bin ich ohnehin in meisterliche Disziplinen aufgestiegen, denn welcher Dreijährige hat einen Begriff für Wörter wie „zögerte, bedauerte oder tollkühn“ im Bilderbuch?!).


Wenn wir nun auf die oben genannten Bauklötzchen zurückblicken, mit denen das Kind eifrig auf den Boden trommelt, dann begegnen wir gleich der nächsten absolut charakteristischen Eigenschaft des Kindes: es lernt, und zwar nahezu ununterbrochen. Die Kinderseele ist erfüllt von einem tiefen Bedürfnis zu lernen und zu erfahren. Wäre einem Schulkind diese Prägung noch in gleicher Intensität und Reinheit erhalten, kämen die Lehrer mit der Wissensvermittlung gewiss nicht nach.

Aber auch hier können wir sehr gut beobachten, was im Großteil der Fälle passiert: die Bauklötze werden beiseite geschoben, unter mehr oder weniger großem Protest des Kindes, die Schuhe werden drauf gesteckt und ab geht’s in den Kindergarten.

Und auch wenn ich als Mutter mehrerer Kinder sehr gut weiß, dass es vorkommt, dass ich der Kleinen einmal gerade nicht die notwendige Zeit zum Schuhe anziehen schenken kann, weil der Große am Bahnhof wartet, macht es doch einen Unterschied, wenn ich mir dieser Tatsache bewusst bin und meiner Tochter an ruhigeren Tagen genug Gelegenheit gebe, um Ihren Entdeckerdrang auszuleben.

Wenn man tatsächlich dem Interesse des Kleinkindes nachkommen will, wäre wahrscheinlich allein der Akt des Schuheanziehens, ein Fachgebiet, dem sich ein Kind gut eine halbe Stunde lang widmen könnte, vorausgesetzt seine Lust am Lernen wurde nicht schon hunderte Male abgewürgt und als lästig degradiert. All die Laschen, Schnüre und Oberflächen – wahrlich ein sensomotorisches Traumland.

Auch hier gilt es den Fokus auf das Wesentliche zu legen. Kinder tun unzählige Dinge, die uns als ineffizient, lästig oder gar störend erscheinen. Das Kind selbst ist jedoch dabei in einem überdimensionalen Lernprozess.

Der Zitronenkern, den Kinder unter einem Höchstmaß an Konzentration aus dem Krug fischen, ist eine bessere Schreibvorbereitung als ein dutzend Arbeitsblätter. Das Buch, das der Kleine ein x-tes Mal vorgelesen bekommen will, tut viel mehr für sein Sprachverständnis, als die Korrekturen die Eltern erteilen, wenn bei der Aussprache eines Wortes ein falscher Laut rausgerutscht ist (sprachliche Korrekturen sollten im Kleinkindalter sowieso niemals direkt stattfinden). Die Zeit und die Erfahrung, die wir dem Kind gewähren, wenn es selbst die Zahnpasta aus der Tube drücken darf (trotz aller Verschwendung) erspart uns später unzählige Diskussionen über das Zähneputzen.

Was dem jungen Mensch wohl angeboren ist, sind natürlich gewisse körperliche Bedürfnisse, ein Verlangen nach Muttermilch, der Drang Unnötiges wieder los zu werden (in die Windel,…oder sonst wohin), Schlaf, der zunehmende Wunsch den Körper selbstständig zu kontrollieren, Dinge dieser Art.

Seinem Baby also die Gelegenheit und das Umfeld zu bieten, in dem es einfach im Jetzt sein kann, es dabei zu unterstützen, die eben genannten Bedürfnisse so gut es geht zu befriedigen und es Liebe spüren zu lassen, scheint die gelungene Kombination und bestmögliche Unterstützung für unseren Nachwuchs zu sein.


Wenn man sich einfach vor Augen hält, dass ein Kind auch über einen einfachen Wassertropfen oder ein Schneckenhaus in rege Begeisterung geraten kann, und diese Erkenntnis in die alltäglichen Lebensprozesse einbindet, dann ist man schon auf einem guten Weg. Das Maß an Harmonie in der Familie geht damit einher.



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